Das verflixt schöne Leben
20 Marloffstein
Neuschnee, die Dächer gegenüber, alles weiß. Ich höre Isa am Ofen Kohlen nachlegen. Dann tippt sie auf der Schreibmaschine. Ich stehe auf. Sie sitzt an dem Biedermeier Tisch, mit dem Blick zum Fenster. Der Tisch ist etwas höher als normale Eßtische und hat viele Verschnörkelungen. Die Platte ist nur 60 cm auf 60 cm mit einer Schublade. Er hat ein gedrechseltes Bein in der Mitte, das im unteren Drittel zu drei geschwungene Füßen wird. Ich vermute es könnte Biedermeier sein oder nachempfunden. Auch wieder ein Möbelstück, das Friedolin mit seinem Blick für das gewisse Extra, auf einem Trödel entdeckt hat. Ein Fuß war beschädigt, deshalb der Preis günstig. Den Fuß hat er repariert, den restlichen Tisch restauriert und ihn dann bei seinem Auszug für uns als Geschenk, zurückgelassen.
Isa liebt dieses Tischchen. Die Platte ist nicht mehr ganz eben, sodaß die Schreibmaschine nicht richtig fest steht und beim Schreiben wackelt. Isa sitzt auf dem weiß gestrichenem Küchenstuhl und am Boden um sie herum liegen mehrere Exemplare ihrer Lieblingszeitschrift, der monatlich erscheinenden „Theater Heute“.
Sie hat den konzentrierten, nach innen gerichteten Blick. Da will ich nicht stören, hole mir aus der Küche einen Kaffee und setze mich still aufs Sofa und schaue ihr zu.
Isa liebt dieses Versinken in Ideen, in den Stoff - Inspiration geschehen lassen. Abends macht sie sich dazu noch Kerzenstimmung und Musik. Wohl gestern auch; der Plattenspieler steht offen, daneben die Plattenhülle: Chopin Klavierkonzert Nr 2 f-moll Arthur Rubinstein. Ich hole mir noch einen Kaffee, schenke auch Isa nach, dabei schaut sie kurz auf und lächelt mich an. Ich lege die Platte auf und setze mich zurück aufs Sofa. Wir haben kein Wort gesprochen, brauchen wir auch nicht, verstehen uns oft ohne. Als nach dem Anfangsknistern der Platte, das Konzert mit der Einführung des Themas durch die Streicher beginnt, später von den Bläsern unterstützt, dann mit einem harten dominanten Ton das Thema vom Klavier übernommen wird, spüre ich fast die Anwesenheit Rubinsteins. Das ist Meisterschaft. Das sind Töne, die mich mitnehmen in andere Sphären. Diese leichten perlenden Läufe, das ist keine Musik mehr, das ist schwingende Seele. Als Isa mich zwischendurch anschaut frage ich sie:
„woran sitzt du?“
Sie zieht mit einem Rutsch das Blatt aus der Maschine, legt es neben sich auf eine Mappe und antwortet:
„Kirschgarten oder Drei Schwestern, ich weiß es nicht. Ich kann noch ein Stück in Schwabing machen.“
Sie spannt ein neues Blatt ein und wendet sich wieder ihrem Schreiben zu. Mein Verständnis für Theater, die Bühne ist verbunden mit den alten Griechen oder Dramatischem wie Shakespeare, dem Theatergenie Molière, meinem heimlichen Wunschtraum für ein Leben mit Isa, dem kämpferisch Schiller, einem humanistischem Lessing mit seinem Nathan und Kleists zerbrochener Krug. Das ist Theater! Aber Tschechows gestelzten Monologe, ohne Blut und Feuer, das ist kein Theater, nur intellektueller Weihrauch. Ich sagte nichts, behalte es für mich. Es würde die Atmosphäre zerstören und ich wüßte nicht, was Isa darauf antworten würde. Es gibt Dinge, da kann man mit ihr nicht reden, sie fühlt sich angegriffen, geht in Verteidigung und Gegenangriff über, sodaß Gespräche, die einem Thema ausführlich mit Rede und Gegenrede, auf den Grund gehen wollen, ersterben. Ich weiß nie, wodurch ich das auslöse. Isa bekommt ein kleines weißes Dreieck unter der Nase, ihre Nasenflügel beben und die Lippen werden aufeinander gepreßt. Ich bin ratlos und verstehe es einfach nicht. Als Lösung aus diesen Situationen bleibt nur Rückzug. Wenn sie sich wieder beruhigt hat, nehme ich sie in den Arm und entschuldige mich, ich hätte sie wohl verletzt. Das täte mir leid. Das hilft wieder Frieden zu bekommen.
Nachdem Isa eine Weile ohne zu schreiben auf ihr Blatt geschaut hat mache ich den Vorschlag:
„Komm laß uns hoch nach Marloffstein fahren, im Schnee spazieren gehen … zu den Fischteichen? Und uns dann im Atzelsberger Biergarten ein Schäufele mit Kloß gönnen! Bei Sonnenschein kann man auch im Schnee gut draußen sitzen.“ Sie nickt zustimmend, wir trinken den Kaffee aus und machen uns fertig. Sie trägt ihre Levis Jeans und braune Halbschuhe, darüber eine weite beige Jacke und an einem langen Riemen zum Umhängen, eine hellbraune Jagttasche. Unten auf der Straße muß ich den Käfer vom Schnee befreien, er springt zum Glück auch an. Oben in Marloffstein am Parkplatz neben dem Wasserturm steigen wir aus und laufen einfach drauflos. Wir genießen den weiten Rundblick ins Fränkische bis hinüber nach Langensendelbach und hinter uns im Tal liegt Erlangen – alles weiß, es glitzert im Sonnenlicht. Isa erzählt vom Deutschlehrer auf dem Gymnasium, der ihr einen langen, mit Herzblut geschriebenen Aufsatz, mit der Bemerkung zurückgab:
„das mit dem Schreiben solle sie lassen, dafür hätte sie keine Begabung.“
„Das war ein echter Anti-Pestalozzi“, sage ich, um die in ihrer Stimme mitschwingende Verletzung, tröstend humorvoll aufzulösen. Da muß sie tatsächlich lachen und erzählt von der Handlung im „Kirschgarten“.
„Das Neue gegen das Alte. Das ist ein Stück für Zeiten im Umbruch. Das paßt heute nicht. Ich inszeniere „Drei Schwestern“, das sind Beziehungen untereinander. Und eine Hauptfigur, der Vater, tritt nie auf.“ Dabei war sie beim Reden so in Rage gekommen, daß sie vor mich hin getreten ist, um besser mit mir reden zu können. Ihre Augen blitzen, wie immer wenn sie vom Theater spricht. Es ist so eine besondere Stimmung, wir stehen mitten auf dem Weg und nehmen uns in die Arme.
Wir laufen am Schloß Atzelsberg vorbei zum Biergarten Atzelsberg setzen uns an einen Tisch mit Sonne. Im Biergarten ist Selbstbedienung. Ich gehe in die Gaststätte und hole uns Schäufele und Bier. Als ich mit dem Essen wieder an unseren Tisch komme sitzt am Nebentisch ein Mann mit seinem Langhaar Dackel. Isa deutet auf den Hund und erzählt, im Dorf bei ihren Eltern hat es auch gerade einen Wurf Langhaardackel gegeben. Ich muß sofort an den Langhaardackel denken, den ich damals mit meinen Freunden, der Musiker Familie in Weimar hatte. Sie hieß Etce von et cetera und so weiter. Als ich mal meine Wäsche von der Armee zurückschickte, legte sie sich jaulend hinein. Ich möchte wieder einen Dackel haben. Unbedingt!
„Wann kann man einen Welpen bekommen?“, frage ich Isa.
„Zwölf Wochen müssen die bei der Hündin bleiben - also irgendwann kurz vor Ostern.“
„Isa, wir hatten in Eisenach immer einen Hund. Ich hatte als Kind schon im Ställchen einen Dackel. Ich möchte unbedingt wieder einen. Gerne einen Langhaardackel. Wollen wir uns aus dem Wurf einen holen?“ Isa lächelt und antwortet ohne lange nachzudenken:
„Einen Rüden oder eine Hündin?“
„Ein Mädchen, die Rüden mit ihrem überall Markieren, da kann man nicht gut spazieren gehen.“
Dann reden wir über ihren Bruder, der nach seinem Abitur nach Westberlin will, damit er nicht zum Bund muß, wie sie hier den Armeedienst nennen. Er möchte Sport studieren. Ich berichte, daß wir demnächst auf dem Flur ein gemeinsames Telefon bekommen, richte aus, daß sie Adele besuchen soll und gebe ihr quer über den Tisch, den damit verbundenen Kuß weiter. Sie erzählt, daß ihre Eltern vorhaben, ganz auszuwandern, für immer nach Kanada zu ziehen. So sitzen wir zusammen, bis ich los muß, mein Taxi wartet. Ob Isa das Geld für das Flugticket wieder mitgebracht hat, das frage ich nicht.
Wir laufen zurück zum Auto und fahren heim. Wir sind glücklich, halten uns im Auto an der Hand. Dann gehe ich zum Brazil um die „Zwo-Sieben“ für die Nacht zu übernehmen.