Andorra II Ein verflixt schöne Leben


14 Italien


Die Intensität leben, als Lebensstil.
Meine geliebte Schreibmaschine, die hatten sie weggeben, hatten auch damals nicht bemerkt, daß sie mir wichtig war. Sie war nicht nur das notwendige Handwerkszeug für meine Schreibsehnsucht, sondern auch meine Verbindung zu meinem Groß­vater. Sie stammte von ihm. Ich habe immer an ihn gedacht, wenn ich sie gesehen oder an ihr gesessen habe. Ich spürte dann in mir Wärme, richtig, wie ein warmer Fleck in meinem Bauch und das obwohl ich ihm nur sehr kurz begegnet war.
Die Tage laufen dahin, eigentlich tue ich nichts, außer ab und zu Seminare zu besuchen und das Leben mit Isa zu genießen. Nachts in der Freiburg zu sitzen Bier zu trinken und wilde Ge­spräche zu führen.
Mit heißen Köpfen reden wir über Freiheit, daß man überhaupt darüber nachdenkt, ist ein Schalter, der bei uns eingeschaltet ist, aber bei vielen Menschen nicht. Oft geht es um Bei­spiele aus Ost und West, daß im Westen die Freiheit kein Thema ist, da man hier eine Unfreiheit nicht spürt. Sitzen wir bei uns, läuft aus Isas Plattensammlung endlos Bob Dylan.
Es geht auf Juni zu, da werde ich 23 Jahre alt. Das gibt mir einen Anstoß. Ich muß aufpassen, nicht wieder in den Modus zu kommen, das Leben auf mich zukommen zu lassen und dann zu sehen, wofür ich mich entscheide. Ich muß aktiv tätig sein. Ich werde mir eine Schreibmaschine besorgen und dann, ich bin zwar nicht Johann Wolfgang, aber dann aufbrechen zu einer Italienreise. Mehr als meine Semesterarbeit über die Commedia dell’arte, früher mal das Decamerone von Boccaccio gelesen, in der Schule etwas über die Geschichte der Römer und die Renaissance erfahren, habe ich nicht an Wissen zu Italien. Diese POS Schulbildung mit ihrem Tenor auf der Geschichte der Arbeiterklasse hatte nur die Sklavenaufstände bis hin zu Thomas Müntzer gelehrt. Ich habe Nach­holbedarf, aber das schiebe ich erst mal auf ... später … .

Die Schreibmaschine war zum Glück keine Problem, ich mußte keine kaufen. Im Bekanntenkreis wollte jemand eine neue IBM Kugelkopf Schreibmaschine und ich bekam seine kleine alte Maschine geschenkt. Dann rechnete ich mein Geld zusammen, hatte streng sparsam gelebt, das Geld für die Grundausstattung nicht für eine Grundausstattung ausgegeben. Das ist nun mein Reisegeld. Bei der Bank wechsle ich in Lire und bin auf einmal Millionär.
Isa findet mein Vorhaben phantastisch. Sie freut sich über meine Energie.
Ihre Regiearbeit in Schwabing bedeutet auch, sie wohnt ein paar Wochen in München in einer WG. Ihr Zimmer in der WG am Lorlebergplatz hat sie aufgegeben und ist vor ein paar Tagen bei mir eingezogen. Wir vereinbaren auch, daß sie die Wohnung über­nehmen kann. Ich werde nach Italien gehen!!!

Vielleicht ist mein schwerer Start ins Leben ein Vorteil und ein Gewinn, weil er bewirkte, daß sich bei mir dieser Schalter, eingeschaltet hat.
In der Universitätsbuchhandlung am Bohlenplatz kaufe ich mir eine Straßen­karte Norditalien. Mitnehmen muß ich nicht viel, habe ja auch nicht viel. Meine Schreibmaschine, viel Papier, ein Wörterbuch Deutsch/Italienisch Italiano/Tedesco. Da sind im Anhang Redewendungen, mit denen ich auf der Reise schon mal anfangen werde. „Sono uno studente tedesco“, eine Decke und Kissen, weil ich knapp mit dem Geld bin und im Auto schlafen möchte.

Zur Abreise bekomme ich einen großen Bahnhof. Meine Brüder sind da. Friedolin schenkt mir den Käfer.
„Fahre ihn, solange er fährt.“
Maximilian reicht mir eine kleine Ledertasche:
„Hier, eine Minolta Kamera und ein paar Filme. Ganz einfach zu bedienen, wenn im Sucher die beiden Halbkreise übereinander sind, kannst Du knipsen.“
Ich bedanke mich bei Beiden mit einem herzlichen Knuff in die Seite.
Alma hat eine umfangreiche Brotzeit gemacht und stellt mir den Pick­nick­korb ins Auto.
„Du sollst gut Futtern hat der Arzt ge­sagt!“
Wir drücken uns richtig fest. Zuletzt kommt Isa auf mich zu, schenkt mir für den Kassettenrecorder im Autoradio zwei Musikkassetten:
„Vivaldi, die Vier Jahreszeiten, ab­spielen, wenn Du die Toscana erreichst und hier noch Bob Dylan, dann denkst Du dabei an mich.“
Ich nehme sie fest und lange in meine Arme, wir verabreden ein Treffen in Florenz, irgendwann in der nächsten Zeit, dann steige ich ein und fahre los. Im Rückspiegel sehe ich alle winken. Es ist spannend. Ich fahre die mir bekannte Strecke gen München und weiter gen Garmisch, möchte die Strecke durch die Berge nehmen und nicht die einfache übers Inntal Dreieck. Es ist ein anderes Fahren als sonst, die Welt sieht anders aus. Ich fahre wie in ein Abenteuer hinein, ein Gefühl, als ob ich beim Großvater am Waldstück doch den Trampelpfad in den Wald hinein­gehen würde. Das Fahren ermüdet mich nicht, nach Murnau und kurz vor Garmisch geht es ab von der Autobahn weiter auf der Landstraße in die Berge, dann die Grenze zu Österreich. So etwas hatte ich noch nie gesehen: da waren Grenzhäuschen und auch die Länderschilder, aber keinerlei Beamte waren zu sehen. Alles verlassen und leer. Eine alte Shell Tankstelle, „Nur tagsüber geöffnet“ und ein Hinweis­schild „Geldwechseln/Cambio”. Aber niemand am Schalter, die Rollos sind heruntergelassen. Ich fahre auf den leeren Parkplatz. Es sind meine männ­lichen Gene, ich muß wissen wo ich bin, muß im Kopf meine Landkarte haben. Unterm Sitz liegt ein Shell Auto Atlas, ich suche wo ich jetzt gerade bin. Bin am Ende bzw. dem Anfang der B2 und folge auf der Karte dem Verlauf von Mittenwald nach Norden längs durch beide Deutschland und sehe sie verbindet wieder Ort, zu denen ich Bezug habe, wie Nürnberg, da lebe ich gerade, weiter hoch nach Schleiz in Thüringen, in dessen Nähe mein Vater geboren wurde über Berlin bis ganz hoch nach Stettin. Ich kann nicht beschreiben warum, aber es ist mir wichtig, es zu sehen. Auf den Land­karten, die gestrichelte Linie die Ost- und Westdeutschland trennt, sieht aus wie Stacheldraht. Der Verlauf dieser Landstraße sieht dagegen aus, wie eine verbindende Naht an einem zerrissenen Land. Nach ein paar Gymnastik Übungen fahre weiter. Es ist eine tolle kurvige Landstraße, durch dichte Wälder, Wiesen mit Heustadl und einigen Dörfer, dann kommt ein lange Strecke nur bergab. In einer Haarnadelkurve geht es rechts ab zu einem Restaurant. Ich fahre auf den großen Parkplatz. Hier möchte ich Rast machen und die Aussicht auf Innsbruck unten im Tal genießen. Panoramacafé steht in Leuchtschrift am Eingang. An den Außentischen mit unverstelltem freien Blick hinab, gönne ich mir einen Kaffee und packe meine Brotzeit aus. Um meinen Kaffee zu bezahlen, hätte ich Schilling haben müssen, daran habe ich nicht gedacht. Sie nehmen auch D-Mark.

Ich bin unterwegs, bin unterwegs nach Italien, bin unterwegs um zu Schreiben. Es ist keine Fahrt um anzukommen, sondern es soll eine Reise werden. Nach meiner Pause fahre ich gemütlich hinab in die Stadt, suche den Weg durch die Stadt zur alten Brenner Landstraße (die Brenner Autobahn ist mir viel zu teuer) und fahre tatsächlich den Brenner hinauf. Ich fahre den Brenner hinauf! Ich fahre in den Süden! Ich!!!
„Buuuuh!!!,“ Ein Gefühl, irre … also wie, wenn während etwas sehr wunder­barem, noch ein Glanzmoment hinzukommt ...
An Matrei vorbei komme ich oben am Kamm an. Eine große mehrspurige Grenzanlage, nebenan ein breiter Güterbahnhof, ein Restaurant. Alle Schilder zweisprachig. Auch hier niemand da zur Paßkontrolle, alle Spuren sind auf grün Durchfahrt frei. Ich fahre direkt nach der Grenze auf die Autobahn und schon nach wenigen Kilometern wieder ab auf einen Parkplatz, esse den Rest meiner Brotzeit, wickle mich in meine Decke und versuche auf der Rückbank, mit den Füßen zum Beifahrersitz, zu schlafen und schlafe tatsächlich ein.
Wegen der Maut entscheide ich mich auch hier gegen die Autobahn und fahre Landstraße. Auf meiner Landkarte bietet sich die SS12 an. Sie verläuft durch Norditalien, dann durch die Toscana bis an Meer. Auf meiner Karte versetzen mich die Namen der Städte schon in Vorfreude, sie klingen nach Süden, atmen Sonne und riechen nach Italien: Bozen, Verona, Modena, Lucca und Pisa am Meer. Jetzt geht es ständig nur Bergab. In Brixen fahre ich tanken. An der Kasse frage ich vor­sichtig, ob er deutsch spricht und bekomme eine patzig, wütende Antwort. Das sei hier Südtirol, natürlich spräche er deutsch. In der Tankstelle gibt es eine Imbißecke, gut für einen Espresso und dazu ein Croissant. Jetzt bezahle ich in Lire, der Kaffee schon 250 Lira das Croissant dann auch. Da relativiert sich meine Million. Weiter geht es. Mit meiner Maut Vermeidung habe ich mir einen riesigen Gefallen getan. So komme ich hoch in die Berge, durch abgelegene ursprüngliche Dörfer und sehe manchmal unten im Tal oder aber weit weit über mir auf hohen Stelzen die Autobahn, auf der ich viel zu schnell durch dieses wunderschöne Land gerauscht wäre. Ich bin verzaubert. Ich möchte die Bilder für immer in mir speichern. Erinnere mich an die Minolta und halte ab und zu an, um ein Photo mitzu­nehmen. In einem der kleinen Städte, die alle oben auf den Bergkuppen erbaut wurden, suche ich mir einen Parkplatz mit Rundblick, parke an einer schattigen Stelle unter einem weit ausladendem Baum, nehme die Kassette mit den Vier Jahreszeiten, mache es mir bequem und höre einfach zu. Jetzt verstehe ich auch, warum Vivaldis Musik so hell und schön ist, er hat hier gelebt, er hat einfach in Musik gefaßt, was er an Schönheit gesehen hat. Ich kenne Vivaldis Musik und habe auch diese Vier Jahreszeiten sehr oft gehört. Hier und jetzt klingt diese Musik um ein Vielfaches schöner und es berührt mich zutiefst, bin ergriffen. Warum jetzt so ergriffen? Es muß mehr sein, als nur die Musik, die Landschaft und mein Start zu meiner Schreibsehnsucht. Als ob ich diese Musik anders höre, sie heftigere Gefühle in mir auslöst, weil ich sie nicht nur in Italien sondern auch in Freiheit höre?

Das Heftigere und das Mehr an Ge­fühlen, der Unterschied zu früher ist so riesig, daß es mich bedrückt. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte gekuscht, wäre im Osten geblieben, hätte ein Leben als Opportunist geführt und hätte dies hier nie so intensiv sehen, hören und erleben können! Buuuuhh!

So voll mit Freude und Euphorie und abgehoben spüre ich doch meinen Magen. Er macht mich darauf Aufmerksam, daß die Brotzeit aufgegessen und ich Nachschub organisieren muß. Ich laufe in den Ort hinein, finde einen kleinen Supermercato und kaufe mir ein Baguette und Milch. Wurst, Käse oder Butter ist mir viel zu teuer. Dann weiter immer die SS12. Mein erster Film ist voll: 36 Bilder, ich muß den Film wechseln. Der Kassettenrecorder wechselt am Bandende automatisch in die Gegenrichtung. Mir fällt auf, Vivaldi ist schon zwei mal durchgelaufen, dann auch mal aus und Ruhe. Ich komme immer weiter nach Süden. In Bozen war es Vorfrühling, je weiter ich vorankomme umso weiter ist der Frühling. Die Knospen öffnen sich, die Farben werden intensiv grüner und die Blüten bunter und dann …. buuuhhh wieder so ein unerwarteter Glanzpunkt: als ich vor Lucca durch einen sehr langen Tunnel komme, legt der Frühling den Turbogang ein. Südlich des Tunnels ist Sommer. Einfach, wie ein Wechsel ohne Übergang. Es ist Sommer, richtig warmer heller Sommer. Dazwischen nur der lange Tunnel und jenseits eine völlig andere Jahreszeit. Ich kurbel meine Scheibe herunter, fahre lässig den Ellbogen halb auf der Tür durch Lucca, weiter nach Pisa, komme am historischen Zentrum vorbei, an der langen Stadt­mauer viele Souvenirläden und dahinter der berühmte schiefe Turm. Es zieht mich nichts dahin, es interessiert mich einfach nicht, ich will weiter und habe schon mein Ziel im Visier: das Meer! Dort will ich hin. Die SS12 endet hier in Pisa ich fahre einfach weiter erreiche einen Fluß, „Arno“ steht an der Brücke. Flüsse fließen zum Meer, also folge ich ihm auf der parallel verlaufenden Straße. Die Straße führt mich zu einem kleinen Yachthafen. Dort angekommen sehe ich ein paar Segelboote zwischen Fischereibooten liegen. Ich stelle mich an den Rand von einem großen aber fast leeren Parkplatz und steige aus. Ich laufe einfach weiter die Straße entlang und dann habe ich es vor mir: zum ersten Mal sehe ich das Mittel­meer. Ein ruhiger Tag, nur leichte Wellen. Der Strand ist Kies und zur Hafeneinfahrt hin liegen große Betonklötze. Das ist nicht der Strand, den ich vor meinem inneren Auge hatte. Ich gehe zurück zum Auto, kaufe auf dem Weg dahin in einem kleinen Laden noch ein Weißbrot, eine Flasche Rotwein, eine 5 Liter Flasche Wasser und ein Stück festen Käse. Dann fahre ich weiter, die Straße führt immer am Meer entlang. Auf der einen Seite Häuser, Hotel, Albergo, Pizza, Ristorante auf der anderen Seite hinter einer kleinen, niedrigen Mauer und einer Promenade das Meer. Dann endlich hört der Ort auf und ein kleiner Wald beginnt. Ich finde eine Stelle an der ein schmaler Sandweg hineinführt und nach ein paar Metern eine kleine Nische, mein Platz zum Parken. Es ist Abend geworden. Ich öffne mit einem Schraubenzieher die Flasche, packe Essen und die Flasche in den Picknickkorb, lege oben drüber mein Handtuch und gehe Richtung Strand. Jetzt, mein zweiter Versuch zum Mittelmeer zu kommen ist erfolgreich. Hinter einer kleinen Düne ein weiter Sandstrand. Ein Bild wie auf einer Postkarte!! Der Strand ist fast menschenleer. Ein Liebespaar und zwei Familien, die aber gerade zusammenpacken. Im Wasser ist niemand. Ich suche mir eine schöne Stelle, ziehe meine Badehose an und möchte ins Wasser. Das Wasser ist sehr frisch, sogar sehr sehr frisch. Ich schätze mal so 17°C . Deswegen ist auch niemand im Wasser. Ich bin tapfer: laufe hinein, bis das Wasser meinen Bauch erreicht, ausatmen, fallen lassen, ganz untertauchen und wenigstens ein paar Schwimmzüge machen. Das kurze Schwimmen wäscht die Anstrengung der langen Fahrt von mir ab. Da kann man Bücher über Bücher lesen und lesen und lesen aber daß das Meer so unfaßbar schön und darin zu schwimmen ein kolossales Erlebnis ist, das hat niemand beschrieben. Vielleicht schaffe ich es, Gefühle, Orte und Ereignisse zu beschreiben, so klar und direkt, daß meine Leser die Schönheit sehen und das belebende Meer spüren. Als junger Mann habe ich mich gefragt, an welchen Vorbildern kann ich mich orientieren? Wie lerne ich Schreiben? Ich erinnere mich an meine Anfänge über das Schreiben nach­zudenken, wie man es erlernen könnte, sie mündeten in Versuchen kritisch zu lesen. Mich nicht auf den Inhalt, sondern zum Beispiel auf die Verwendung von Eigenschaftswörtern zu konzentrieren. Dabei erkannte ich sehr schnell wer Spreu und wer Weizen war. Wurde schon auf den ersten Seiten vom leise säuselnden Wind, vom schimmernden Mond und einem plätschernden Bach ge­schrieben, legte ich das Buch gleich weg. So weit konnte ich schon meinen Lesestoff beurteilen, aber wie selbst anfangen? Ich dachte es sei einfacher kurze Texte, statt einer langen Geschichten oder einem Roman zu schreiben. In der Wartburg Buch­handlung in der Karlstraße, einem meiner Lieblingsorte in Eisenach, fand ich O. Henry „Die Stimme der Stadt“ Amerikanischen Kurzgeschichten und Egon Erwin Kisch, „Der rasende Reporter“. Die las ich immer wieder, das traute ich mir auch zu. Damit begannen meine ersten Versuche, ich saß in meinem Zimmer auf meinem Podest und versuchte einen Spaziergang mit den Hunden über unseren Garten hoch zur Wartburg und weiter zur Sängerwiese zu beschreiben, bei dem auch der Sänger­krieg und Walter von der Vogelweide Erwähnung finden sollten. Keiner dieser Versuche erlebte den nächsten Morgen. Alle landeten im Heizungskeller. Jetzt bin ich älter, reifer und am besten Ort auf dieser Welt, um Schreiben zu können. Morgen fange ich an und es wird mir etwas gelingen. Ich stopfe den Korken auf die halbleere Flasche, packe meine Sachen in den Picknickkorb und gehe zurück zum Käfer schlafen. Den Beifahrersitz habe ich herausgenommen und verkehrt herum wieder eingebaut, nun kann ich mich besser ausstrecken. Voll Zuversicht lege ich mich auf den Rücksitz. Im Einschlafen muß ich noch an abgedroschene Redewendungen denken wie: „die Vögel zwitschern“ und horche einen Moment in die Stille um mich. Es sind keine Vögel zu hören, die schlafen nachts ... !
Aufwachen, aussteigen, dehnen, strecken und mit meinem Wasser aus der großen Wasserflasche, Zähne putzen. Dann auf zum Meer! Luft holen, ausatmen und hineinspringen ... buuuuh durchatmen. Ist das herrlich, bin wie neu geboren. Vorne im Ort gibt es wieder Kaffee und Croissants und dann, dann … jetzt fällt mir nichts mehr ein, was mich vom Schreiben abhalten sollte oder könnte. Die Schreib­maschine stelle ich auf den umgedrehten Beifahrersitz, spanne ein Blatt ein und beschließe mit einer kleinen Übung anzufangen. Ich werde beschreiben, wie ich zum Strand gehe und? ..., aber ich fange mit dem Hingehen an und denke noch nicht an das und? ... ! Nach zwei Tagen und mehreren Blatt Papier habe ich folgende Zeilen zustande gebracht:

Der Knoten

Alles ist gut, heiter, still und leicht.
Melancholie ein fernes Wort.
Ich schwebe, zeitlos wie im Traum.
Schwebe hinaus, hinab zum Strand.
Finde das Meer so weich, so sanft, so voller Kraft.

Die Sterne stehen klar über mir, der Mond hat seinen starren Blick.
Liege mit den Füßen im Wasser, bleibe mit dem Kopf auf dem Sand.
Ich spüre, wie es mich haben will, wie es mich zieht.
Wie es mich wiegt, mich umfängt, dann trägt’s mich davon.

Die Sterne stehen klar über mir, der Mond hat seinen starren Blick.
Liege im Wasser, liege mit dem Kopf auf dem Sand.

Es umfängt mich, liebkost mich, berührt meinen Schmerz.
Ich lasse mich ziehen, will betört mit hinaus.

Die Sterne stehen klar über mir, der Mond hat seinen starren Blick.
Liege am Wasser, mein Kopf auf dem Sand.

Die See ist unbeweglich wie zuvor.
Hat gelogen und betrogen, hat nur Einsamkeit verstärkt.

Die Sterne stehen klar über mir, der Mond hat seinen starren Blick.
Friere am Wasser, friere mit dem Kopf auf dem Sand.

Die See ist unbeweglich wie zuvor.
Mein Schmerz hat eine Kerbe mehr.

Es ist sehr trauriger Text, aber ich bin zufrieden und ein klein wenig stolz. Ich gönne mir zur Belohnung eine Übernachtung in einer Albergo (und eine warme Dusche) und Abends eine richtige Pizza.

In meiner zweiten Übung, für die ich wiederum zwei Tage brauche, beschreibe ich einen Alptraum, bei dem sich eine schreckliche Entwicklung immer wiederholt und wenn ich hoffe nun aufwachen zu können, fängt sie von vorne an. Ich zerknülle es gleich, weil es mir beim Lesen weh tut. Edgar Allan Poe hätte es gut gefunden, mir macht sie große Angst.
Es wird Zeit mal in Erlangen anzurufen, dort ist alles Okay. Sie freuen sich, daß es mir gut geht und Isa läßt ausrichten, sie könne in zehn Tagen nach Florenz kommen, hätte eine Mitfahr­gelegenheit. Treffen dann Mittags auf der Piazzale Michelangelo. Ich bestätige, daß ich da sein werde. Da habe ich etwas worauf ich mich freuen kann. Ich werde mehrfach von der Polizia Locale aufgescheucht, die kein wildes Campen im Wald erlauben. Ich verschwinde tagsüber besser mit dem Auto auf irgendwelche richtigen Parkplätze und suche mir erst zur Nacht einen ruhigen Platz zum Schlafen. Bei meinen Streifzügen in die Umgebung finde ich einen kleinen Flohmarkt, dort kaufe ich mir einen Korkenzieher, zwei rustikale Weingläser und einen Reiseführer Toskana auf deutsch. In den letzten Tagen sehe ich oft eine Streunerin, eine junge Frau, schlank, braunes langes Haar, wir mustern uns manchmal aus der Entfernung, kommen uns nicht nahe. Aber eines späten Abends, ich sitze allein am leeren Strand, habe ein Glas Wein, schaue in den Himmel und sehe das Sternbild Orion, das ich mir selbst mal als Sternbild Stier getauft hatte, weil es drei markanten Sterne hatte, die wie ich später recherchiert habe, nicht einen Stierkopf, sondern die Gürtel­schnalle des Orion darstellen. Diese Gürtelschnalle, mein falsches Sternbild Stier ist mir schon als Junge ein Punkt am Himmel, zu dem ich gerne aufschaute, ein stiller Begleiter, wenn ich etwas brauchte, was immer und ewig da sein würde. Auch aus meinem Zimmerfenster in Eisenach konnte ich ihn sehen und sogar in meiner ersten U-Haft in Budapest, da hatten die Fenster noch keine Blenden, sondern waren aus Milchglas und der obere Rand war zum Durchschauen, sodaß ich abends kurz zu meinem Stier aufschauen konnte. Und was habe ich damals in den Nebel meiner Zukunft hinein geträumt, so etwas Schönes, wie es jetzt hier ist, hätte ich mir nicht vorstellen können. Darüber muß ich schmunzeln. In meiner nachdenkliche Stimmung bemerke ich in einiger Entfernung diese Streunerin. Sie steht und hält ein Glas in der Hand und hebt es fragend hoch in die Luft. Ich winke ihr zu und zeige auf den Platz neben mir, auf meinem Handtuch. Sie kommt vorsichtig näher. Ich zeige noch mal neben mich und spreche sie an: „Buona giornata” viel mehr kann ich noch nicht sagen. Sie setzt sich neben mich. Ihre Augen sind dunkel und weich, die Haare dunkelblond und wohl schon länger nicht mehr gewaschen. Auch die Füße sehen aus, als ob sie immer barfuß unterwegs ist. Sie schaut mich scheu an und lehnt sich aber dann einfach an mich. Ich gieße ihr Wein in ihr mitgebrachtes Glas ein. Wir stoßen an: „Sono tedesco”. Sie lächelt mich an „lo so.” Naja, richtig unterhalten können wir uns nicht. Es ist auch nicht notwendig. Wir spüren Nähe, Wärme, den Strand, trinken Wein und genießen über uns den Blick in die Unendlichkeit des Firnaments. Nähe, Wärme und Wein entwickelt eine eigene Dynamik. Plötzlich liegen wir eng umschlungen. Archaische Energie. Nach der Glut, Stille - einfach innig miteinander liegen. Dann leise, wie eine Katze auf Samtpfoten, verschwindet die Streunerin wieder im Dunkeln. Eine Wiederholung am nächsten Tag wehre ich mit einer abweisenden Handbewegung ab. Es ist mir unheimlich, besser, ich bin mir selbst unheimlich, weil ich nichts erkenne, wie ich gestern Einfluß auf den Lauf der Dinge hätte nehmen können. Die Streunerin läßt sich daraufhin nicht wieder blicken ich sehe sie auch nicht mehr irgendwo in der Ferne. Sie hat wohl das Revier gewechselt. Noch einmal gönne ich mir ein richtiges Bett und ein anständiges Abendessen. Dann ist der Tag des Wiedersehens gekommen, an dem ich nach Florenz fahre. Laut meiner Straßenkarte brauche ich etwa zwei Stunden über die Landstraße und dann muß ich in Florenz noch die verein­barte Piazzale finden. Die Fahrt macht mir großen Spaß. Viele kleine Dörfer, manchmal direkt im Zentrum am Marktplatz vorbei. Obstgärten, Felder, ein paar Kilometer am Arno entlang und dann sehe ich aus der Ferne Florenz. Weit sichtbar die Kuppel des Duomo Santa Maria del Fiore. Die Landstraße endet im Stadtverkehr. Ich folge einfach den Schildern „Centro città”. Das Gewusel der Autos nimmt schlagartig stark zu. Ein ständiges Überholen, schneiden, hupen, austricksen macht es sehr anstrengend den Weg zu finden. Wenn ich Gott wäre, würde ich allen Italienern den Führerschein entziehen. Das hier ist kein Autofahren mehr, das ist Nahkampf. Und wie Ameisen in einem großen Ameisenhaufen wuseln ohne irgendeine Verkehrsregel zu beachten, unzählige Mopeds knatternd und stinkend zwischen all den Autos hindurch. Mehr als einmal befürchte ich, gleich kracht es. Auf einmal stehe ich als erster an einer roten Ampel. Obwohl weder rechts noch links neben mir eine Spur ist oder Platz für ein Auto wäre, drängeln sich doch zwei kleine Autos noch neben mich. Auf der anderen Seite der Kreuzung ist aber nur Platz für ein Auto, um auf der Straße zwischen den Häusern durchzufahren. Es ist ein Reflex, als die Ampel auf grün springt, gebe ich Gas, lege einen Kavaliersstart hin und bin der Erste. Die beiden anderen müssen bremsen und bleiben hinter mir. Mein Verhalten völlig sinnlos, wieder irgendeines meiner männlichen Reflexe? Ich halte an der nächst möglichen Stelle und studiere noch mal genau im Stadtplan, wo ich bin und wie ich zur Piazzale komme. Mit dem Stadtplan auf den Knien finde ich den Weg über den Arno und hoch auf die Plattform, in deren Mitte weit sichtbar die Statue David steht. Ich finde einen regulären Parkplatz, bin weit vor der vereinbarten Zeit und mache einen Spaziergang um den Platz herum. Andenkenstände, Eisverkäufer und die üblichen Touristen. Ich suche mir eine Parkbank mit schöner Aussicht und gutem Rundblick. Ein Grandioser Anblick von Oben. Auf den Dächern überall ähnlich rotbraun gefärbte Dachziegeln. Direkt aneinander stehende Häuser bilden das Gewirr der Gassen und dann wieder freie Flächen für große Plätze und majestätische Paläste. Alles strahlt wie eine ruhende erhabenen Schönheit, die um ihre Einzigartigkeit weiß und es genießt bewundert zu werden. Ich stehe hier an dem Ort, an dem sich einst das Denken änderte. Hier ist die Wiege unserer Neuzeit, unseres humanistischen Menschenbilds. Wieso hier? Was brachte die Menschen gerade hier dazu, neue Gedanken in sich zu entwickeln? Im Reiseführer steht nur etwas über die Macht der Medici. Aber das ist nie die alleinige Ursache für ein so revolutionäres Umdenken, so ein Neufinden des Selbstverständnisses. Im Reiseführer wird auch auf Petrarca, Dante und Boccaccio verwiesen. Aber es muß mehr gewesen sein, sonst wären ihre Gedanken damals vertrocknet und vergessen worden aber sie inspirierten weitere Denker von Erasmus bis Luther und deren Gedanken verbreiteten sich wiederum. Was ist das? Wie kommt es, daß auf einmal der Schalter, über Freiheit nachzudenken, sich hier bei vielen Menschen kollektiv eingeschaltet hat? Was ist das für ein Schalter, wie und wodurch wird er aktiviert?
Ich gehe zurück zum Auto, hole schon mal meine Tasche und meinen Proviant. Es kann ja nicht mehr lange dauern, obwohl von Erlangen nach Florenz sind fast 900 Km. Ich finde direkt an der Vorderseite der Piazzale Michelangelo an der Balustrade eine Bank auf die ich mich legen kann. Meine Tasche nehme ich als Kopfstütze und schmökere weiter im Reiseführer. Ausgestreckt liegen, eine Wohltat, bin darüber wohl eingeschlafen. Jemand stupst mich, Isa steht neben mir, hat einen Rucksack in der Hand und lächelt mich an. „Bin gerade angekommen, wir sind die Nacht durchgefahren.“

„Dann bist Du jetzt müde?“
„Ach i wo!“
„Laß uns unten in der Stadt eine Pension suchen und erst mal das Gepäck abstellen.“ Wir laufen durch einen kleinen Park hinab zum Arno und über die Ponte alle Grazie in die Altstadt. Wir klappern einige Pensione ab, alles besetzt und dann endlich in einer Seitengasse finden wir eine, in der uns die Patronin abweisen möchte, aber der Patron findet uns wohl sympathisch, schaut uns prüfend an und denkt sich bestimmt: so ein großer Lulatsch und eine kleine zierliche Freundin. Er bietet uns ein kleines Zimmer am Ende des Ganges und macht uns auch einen guten Preis. Dusche ist auf dem Flur und sie tut uns beiden gut. Dann legen wir uns einfach auf`s Bett, erzählen wie es uns ergangen ist, was es Neues in Erlangen gibt. Ich frage, wie es um die Inszenierung in Schwabing steht, erzähle wie die Fahrt durch die Toscana war und berichte, daß ich einen Text geschafft den ich nicht wie die anderen, weggeworfen habe. Isa erzählt lang und ausführlich über die Inszenierung ihre Figuren, und auch über die Probleme mit Programmheft, Plakaten und wie man in der Stadtzeitung in den Veranstaltungskalender aufgenommen wird. Wenn wir noch etwas von der Stadt sehen wollen, dann müssen wir aber jetzt aufbrechen. Isa ist mein Stadtführer. Sie hat sich vorbereitet, da sie im Nebenfach Kunstgeschichte studiert und Zeit hatte sich mit Florenz zu beschäftigen, liefert mir das dazu gehörende Hintergrundwissen. So sehe ich den Palast der Medici. Wir gehen an den Uffizien vorbei und dem unverschämt stolz blickenden nackten Marmorkerl, da oben auf seinem Sockel. An der Ponte Vecchio kann ich mir das florentiner Leben vor vierhundert Jahren vorstellen. Die Brücke gefällt mir sehr, mehr als Palazzo Pitti, der schon aus der Ferne so protzig aussieht. Die Kathedrale Santa Maria del Fiore ist atemberaubend. Diese Farbigkeit, ganz anders als dieses Braun der anderen Gebäude. Ich suche einen Sitzplatz, ich möchte schauen und fühlen, wie es hier wohl war, als das Neue sich in den Köpfen entwickelte. Die Wartburg, grau, dunkel und kalt, atmet den Geist des Mittelalters und hier hell, warm und farbig, entstand der neue Geist. Dieses sonnige Italien kann mit seiner Schön­heit einen richtig besoffen machen.
Wir sind müde vom herumlaufen, finden eine kleine unscheinbare Trattoria. Es geht drei Stufen hinab. Die Tische haben einfache Papiertischdecken, auch steht ein Krug mit Wasser da, dazu einfache Gläser und sogar ein Korb mit Brot. Wir setzen uns an der Wand an einen kleinen Tisch für zwei Personen. Die Kellnerin, sie trägt statt der üblichen kleinen weißen Kellnerinnenschürze eine Kittelschürze, kommt zu uns, legt uns eine Karte vor und wartet, was wir bestellen. Wir sind sehr sparsam, drehen den Groschen lieber dreimal um und bestellen uns Spaghetti mit Tomatensoße. Sie schaut uns trotzdem freundlich an, obwohl wir das billigste Gericht gewählt haben. Wir bedienen uns am Wasser und nehmen uns schon mal vom Brot. Es dauert nicht lange, da kommt sie schon und bringt zwei Teller mit Spaghetti. Der eine ist ganz besonders voll, den stellt sie vor mich hin und wünscht uns „buon Appetito“. Das hat schon etwas mütterliches, wie sie uns bedient. Der Tag war lang, das Laufen ermüdend. Wir gehen in unsere Pensione und schlafen bald ein. Es ist wieder dieses große Glück, wie sie neben mir liegt und sich einkuschelt. Es ist ein großes Gefühl, sie mit meinem Arm zu beschützen.
Wir bleiben fast bis zum Mittag im Bett. Dann aber siegt der Hunger und wir suchen uns ein Café für ein Frühstück. Später gehen wir in Kirchen und ein Museum, laufen am Arno entlang, stoßen überall auf Andenken- und Souvenirläden. Es ist zuviel. Ich kann auch mit den architektonischen Sehenswürdigkeiten nichts anfangen. Sie geben mir nichts und sagen mir wenig über die Menschen, die darin wohnten, außer das sie sehr viel Geld hatten, sich solche Häuser zu bauen und das es ihnen wichtig war, etwas Schönes und nicht nur etwas Nützliches zu bauen. „Laß uns in einen Park gehen und einfach in die Sonne schauen.“ Wir finden ein Café, es hat kleine bequeme Sessel, wir haben einen guten Blick auf das Treiben hinüber zur Ponte Vecchio, setzen uns und bestellen Espresso. Das ist ein gutes Sitzen. Was kann Glück anderes sein, als mit dem Menschen den man liebt etwas Schönes zu erleben? Etwas später gehen wir flanieren, laufen Hand in Hand im Strom der Touristen. Abends setzen wir uns wieder in die Trattoria, bekommen von der Wirtin ein freundliches Lächeln und bestellen uns zu den Spaghetti eine Karaffe ihres Hausweins. Wir reden über das Schreiben. Isa holt aus ihrer Handtasche, die eigentlich eine Jägertasche ist und vorne dran Schlaufen hat, um Munition einzustecken, ein kleines Heft hervor und liest mir ein Gedicht vor. Es ist ein Klangbild aus vielen Eigenschaftswörtern. Ich bitte Isa es mir erneut vorzulesen. Leider finde ich auch bei erneutem aufmerksamen hören, keinen Zugang und kann auch die Stimmung nicht nachempfinden. Das lasse ich mir nicht anmerken.
Ich erkläre, daß ich eine große Geschichte schreiben, dem Archaischen auf der Spur sein möchte. Die Handlung, das ist wie bei einem Bild die Grundierung und mit der gestalte ich die Charaktere. Ich male auf der Grundierung ein Bild, das ist mein Verständnis vom Schreiben.
Selig nach so viel Reden und einander nah sein im Denken, gehen wir schlafen. Es ist die letzte Nacht. Morgen um Zwölf muß Isa am Treffpunkt sein, dann fährt sie wieder heim. Wir hätten das Doppelbett nicht gebraucht, auch auf einem einfachen Bett hätten wir nur die Hälfte ausgefüllt. Wie immer eng aneinander schlafen wir ein. Am Morgen begleiche ich die Rechnung und wir frühstücken in unserem Café um die Ecke. Danach gehen wir hoch zur Piazzale Michelangelo, stellen uns vorne an die Balustrade und schauen in das weite Tal. Florenz im Sonnenlicht leuchtet. Ich lege meinen Arm um Isas Schulter und träume laut vor mich hin: „Wie wäre es, wir beide würden ein Team sein, eine gemeinsame Theaterkompanie gründen. Vielleicht so wie Molière mit seiner Frau? Eine Theater Compagnie. Du führst Regie und ich kümmere mich um Dramaturgie und Organisation?“ Ich sehe es deutlich vor mir. Isa lächelt, bevor ich fragen kann, ob sie mich verstanden hat und was sie dazu sagen würde, ertönt lautes Hupen, die Mitfahrgelegenheit ist da und wartet. Wir verabschiedeten uns auf unbestimmtes bald.

Ich hätte doch hier oben auf der Piazzale Ansichtskarten kaufen können, aber ich ging zum Auto und machte mich auf den Weg zurück nach Pisa an den Strand. Noch in Florenz unten in der Stadt sehe ich eine Buchhandlung und davor ein Ständer mit Ansichtskarten. Ich finde keinen Parkplatz, fahre um eine Ecke und noch eine Ecke, dann ist da ein freier Platz. Ich stelle das Auto ab und gehe zurück, die Karten kaufen und dazu auch Briefmarken. Das dauert einen Moment. Als ich nach nicht mal 10 Minuten zurückkomme, ist das Auto weg. Passanten sagen mir, ein Abschleppwagen hätte es mitgenommen. Jetzt sehe ich, auf der Straße war ein Halteverbot aufgemalt, das hatte ich übersehen. Mit dem Wörterbuch in der Hand frage ich mich durch, bis ich erfahre, wo die Autos hingebracht würden und mache mich auf den langen Weg dorthin. Außerhalb der Stadt. Es ist ein langer Weg. Mein Herz ist tief in die Hose gerutscht, weil ich weiß, das wird sehr teuer. Mein Budget ist schmal. Endlich bin ich an dem Autohof angekommen und sehe den Käfer stehen. Er steht sogar günstig, nah an der Ausfahrt. Ich schleiche mich tief gebückt hin, öffne die Tür und setze mich hinein, so daß man mich von außen nicht sehen kann. Stecke den Zündschüssel ins Zündschloß, starte und fahre schnell vom Hof, um die Ecke und die Straße hinunter. Dann geht es auf einmal alles sehr schnell. Meine Autotür wird aufgerissen, ein Arm reicht hinein, dreht den Zündschlüssel und bricht ihn dabei auch noch ab und zerrt mich aus dem Auto. Ich werde von zwei Polizisten auf die Wache geführt. Das Auto am Straßenrand abgestellt. Ich sitze lange auf der Wache. Meine Personalien werden aufgenommen und ich vor die Wahl gestellt, ins Gefängnis zu gehen oder die Abschleppkosten plus die zusätzliche Strafe sofort zu zahlen und dann innerhalb von 24 Stunden das Land zu verlassen. Mein Geld reicht gerade, um das alles zu bezahlen und der klägliche Rest, um heim zu fahren.

Zurück am Auto versuche ich mit dem abgebrochenen Zündschlüssel zu starten. Da der vordere Teil des Schlüssels noch im Schloß steckte, konnte ich mit dem hinteren Teil, an dem gerade noch der Stumpf dran war, starten. Bin traurig, aufgelöst, kann keine klaren Gedanken fassen, so fahre ich aus der Stadt und im nächsten Dorf zu einem Supermercato. Mache in Ruhe einen Kassensturz. Es reicht mein Restgeld für Benzin, sogar für Maut und eine gute Brotzeit. Ich kaufe mir Brot, Käse und dazu eine Knackwurst. Wasser ist noch reichlich im Auto. Die Schönheit der Toscana auf der Landstraße zu genießen, dazu ist mir die Laune vergangen. Ich will einfach nur heim. So fröhlich wie der Käfer die Landstraße den Brenner hinab nach Bozen gefahren ist, so schwer quält er sich jetzt Bergauf. Er ist vielleicht auch niedergeschlagen? Die Autobahn ist häufig auf Stelzen über lange Täler geführt. Die einzelnen Abschnitte der Brückensegmente sind mit Schwellen verbunden. Diese geben beim darüberfahren den Takt. Ein Rhythmus, der klingt traurig und dumpf, wie in Mozarts Requiem das tiefe Hin und Her der Streicher und Bläser. Bin ich gescheitert, bin ich auf dem Heimweg von einer Niederlage, oh Kyrie eleison? Die Kilometer spüre ich nicht. Die Landschaft sehe ich nicht. Tanken eine mechanische Verrichtung. Lange schon ist der Sommer wieder weg, bin zurück im Frühling und oben am Brenner sogar im Vorfrühling. An den Hängen liegen Reste von Schnee. Ich fahre auf einen Parkplatz, laufe den Hang hinauf zum Schnee, wasche mir mit ihm das Gesicht. Die Kälte tut gut. Es ist dunkel, bin erstarrt in meiner Trauer, einfach nur gefahren und habe kein Gefühl für Zeit, Hunger, Müdigkeit und überhaupt meinen Körper. Der Schnee tut gut, er holt mich zurück. Ich spüre, bin zum Umfallen müde. Auf dem Rücksitz liegen Decke und Kissen ich mummele mich ein und schließe die Augen.
Die Kälte im Auto weckt mich. Es ist hell. Ich fahre gleich los, esse unterwegs. Nein!!, geht es mir durch den Kopf, es war keine Niederlage! Bin doch mutig ins Leben, ins Unbekannte aufgebrochen, bin dort angekommen, habe geschrieben, mehr als ich je in Eisenach geschrieben habe. Es ist mein erster Versuch und er war erfolgreich! Es ist meine Art, muß ich mir eingestehen, Dinge anzufangen ohne wirklich vorher darüber nachzudenken, ohne wirklich etwas zu planen, sondern einfach loszustürmen. Aber was wäre das für ein Leben, wenn es anders wäre? Frohen Mutes fahre ich hinab nach Innsbruck, weiter gen München. Besuche Großmutter an der Theresienwiese, gehe für sie Einkaufen, verspreche bald nach München umzuziehen und fahre zum Theater nach Schwabing. Leider ist Isa nicht da, dann weiter nach Erlangen.